Wanderausstellung “Das Alter in der Karikatur” – der andere Beitrag zum gesellschaftlichen Altersdiskurs

Die Wanderausstellung „Das Alter in der Karikatur“, die im Juli im Rahmen des 11. Deutschen Seniorentages von der Diakonie nach Frankfurt/Main eingeladen wurde, zieht die Menschen auch andernorts in ihren Bann. In Zürich sorgte sie ebenso für Furore wie im Herbst 2015 im Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart oder Anfang des Jahres 2016 im Rathaus von Wiesbaden.

Renommierte zeitgenössischen Karikaturisten wie Gerhard Haderer, Franziska Becker, Gerhard Glück, Greser&Lenz, Marie Marcks, Michael Sowa, Hans Traxler und viele andere beleuchten in dieser Ausstellung das viel diskutierte Thema Alter. In ihren Karikaturen geht es um Golden Ager, Körperoptimierung und Anti-Aging ebenso wie um Demenz, Pflege und Gebrechlichkeit, um Generationenkonflikte und den demografischen Wandel. Das Alter in all seinen neuen und alten Facetten wird in dieser Ausstellung ausgiebig gewürdigt.

Auswahl und Aufbau der Ausstellung beruhen u.a. auf den Erfahrungen aus einem Forschungsprojekt über Altersbilder in Karikaturen am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg. Humor wurde dabei als ein „Tor zum Unbewussten“ begriffen, zu den unbewussten Einstellungen und Gefühlen. Diese sind deshalb so interessant, weil sie das menschliche Handeln maßgeblich bestimmen. Wie also sieht es „im tiefsten Inneren“ mit den Einstellungen und Gefühlen gegenüber dem Altern aus? Zwar hat sich das bewusste Wissen über das Phänomen „Alter“ in den letzten Jahrzehnten dank intensiver Aufklärungsbemühungen vermehrt, Menschen in Deutschland haben einen weitgehend differenzierten Blick auf das Alter, das belegen große Befragungen (vgl. z.B. Kruse und Schmitt) Und dennoch, Altersabwertung und –Diskriminierung spielen weiterhin eine bedeutende Rolle. Nicht nur an Aufstiegschancen, die sich in manch einer Firma schon ab dem 40. Lebensjahr drastisch reduzieren, ist in diesem Zusammenhang zu denken oder an die „Zwangsberentung“, sondern auch an die vielen kleinen verbalen Verletzungen, die schnell einmal so daher gesagt oder geschrieben werden. Warum wird jedermann ab dem 60. Lebensjahr in der Presse als „Rentner“ tituliert? Und warum ist Alice Schwarzer ab dem 60. Lebensjahr nach eigener Aussage nur noch „Altfeministin“?

Karikaturisten lassen sich von den schönen Worten, die allenthalben um das „Aktive Alter“ und seine „Potentiale und Chancen“, gemacht werden, nicht täuschen. Sie blicken hinter die rationale Fassade eines politisch korrekten Altersdiskurses und fördern in ihren Bildern Einstellungen und Gefühle aus den emotionalen Hinterstuben zu Tage, die der Einzelne und „die Gesellschaft“ zumeist gar nicht zu haben glaubt. Für Altersabwertung und -Diskriminierung könnten sie jedoch die entscheidende Rolle spielen. Das macht Karikaturen für die Forschung so interessant.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg bestätigten die Annahmen der Untersuchung und zeigten, dass sich Altersbilder in Karikaturen in den letzten ca. 50 Jahren kaum „zum Positiven“ gewandelt haben. Im Gegenteil, alte Menschen – und hierbei handelt es sich zu über 90 Prozent um Menschen der Gruppe der sog. „jungen Alten“ zwischen 60 und 80 – werden in Karikaturen der Gegenwart sogar signifikant häufiger durch körperliche und geistige Defizite sowie mangelnde Attraktivität, ein ungepflegtes, vernachlässigtes Äußeres, charakterisiert als in den 60er Jahren. Diese Ergebnisse überraschen, stehen sie doch in krassem Gegensatz zum realen Wandel der Lebensphase Alter. 60 bis 80jährige sind heute bekanntlich „fitter“, sozial und ökonomisch besser gestellt sind und stehen, was Bemühungen um „Mode und Styling“ betrifft, der jüngeren Generation häufig keineswegs nach. Darüber hinaus fanden sich in zeitgenössischen Karikaturen Altersstereotype, die kulturhistorisch weit zurückreichen wie z.B. die Figur des Senex amans, des „verliebten Alten“, den schon die antike Komödie ausgiebig würdigt.

Die Wanderausstellung „Das Alter in der Karikatur“ führt vor dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse tief hinein in die Welt der über Generationen im kollektiven Gedächtnis verwurzelten und heute vielfach tabuisierten, aber wirkmächtigen Altersstereotype und lädt auf höchst unterhaltsame Weise zur Auseinandersetzung mit ihnen ein. Sie hinterfragt die schöne neue Welt des Alterns, insbesondere allzu positive Körperbilder und stört empfindlich einen Altersdiskurs, der über weite Strecken vom Leitbild des „Aktiven Alters“ dominiert und auf Körperoptimierung fokussiert ist. „Das Alter in der Karikatur“ thematisiert damit auch Ängste und Sorgen vor dem Alter(n) und der menschlichen Vergänglichkeit in einer Gesellschaft, in der sich religiöse Bindungen mehr
und mehr auflösen und sich mit dem Lebensende keinerlei Trost und Hoffnung auf ein „Danach“ verbindet. Sie ist der andere Beitrag zum gesellschaftlichen Altersdiskurs und gerade dadurch seine Bereicherung. Eine Auseinandersetzung mit tief im emotionalen Untergrund verwurzelten Altersstereotypen ist die erste Voraussetzung für deren Abbau.

All diese tiefgreifenden Fragen wirft die Ausstellung „Das Alter in der Karikatur“ aber nur und ausschließlich über den Umweg des Humors auf. Es darf, es soll und muss gelacht werden, das ist der erste und wichtigste Sinn einer Karikaturenausstellung, auch dieser. Wer will, kann sein eigenes Lachen hinterfragen, und er wird möglicherweise zu erstaunlichen Erkenntnissen kommen über seine Einstellungen zum Alter und sich selbst.

„Scheinbar leichter Hand, in Wahrheit jedoch in verzweifelter Anstrengung ringt Loriot der Welt das Komische ab“, schreibt Patrick Süskind über den großen Vico von Bülow. Dieser Satz lässt sich auch auf die Bilder dieser Ausstellung übertragen, Meisterwerke allesamt, die mit scheinbarer Leichtigkeit, in Wirklichkeit aber mit dem allergrößten Tiefgang die existentielle Frage nach der menschlichen Vergänglichkeit behandeln. Was für eine große und was für eine so häufig unterschätzte Kunst ist sie doch: die Kunst der Karikatur. In diesem Sinne lädt die Ausstellung „Das Alter in der Karikatur“ ein zum Lachen über jenes ungeheure Phänomen, dem wir Menschen – immer noch – ausgesetzt sind: Das Alter(n).

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